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Viele reden darüber, Teilzeitarbeit weniger attraktiv zu machen. Worüber wir aber viel dringender reden müssen: Was ist eigentlich Vollzeit? Die gesetzliche Definition von 40 Stunden Normalarbeitszeit ist im 21. Jahrhundert schlicht und einfach nicht mehr zeitgemäß.
Wir brauchen dringend eine neue, gesunde Vollzeit. Das ist eine Vollzeit, mit der man Beruf und Familie vereinbaren kann; eine Vollzeit, die man bis zur Pension gut durchhält; und eine Vollzeit, die uns hilft, ein gutes und klimafreundliches Leben zu führen.
Dass das auch die Beschäftigten wollen, zeigt eine aktuelle Online-Umfrage der AK Wien, die AK Präsidentin Renate Anderl gemeinsam mit Sybille Pirklbauer, Leiterin der AK Sozialpolitik, präsentierte:
Die 40-Stunden-Woche ist hart erkämpft: Ausgehend von einer komplett unregulierten Arbeitszeit – 70 Stunden pro Woche waren durchaus Usus – erreichte die Arbeiter:innenbewegung Arbeitszeitverkürzungen auf 48 Stunden (1919) und später 45 Stunden (1959) pro Woche. 1969 kam mit dem Arbeitszeitgesetz ein Meilenstein: Nun mussten die Arbeitnehmer:innen in Etappen immer weniger arbeiten. 1975 war die 40-Stunden-Woche, die wir heute kennen, Realität. Das ist jetzt fast ein halbes Jahrhundert her. Seitdem gab es keine gesetzliche Arbeitszeitverkürzung mehr.
Zwar konnten die Gewerkschaften bei vielen Kollektivverträgen Verhandlungserfolge erzielen und kürzere Arbeitszeiten verhandeln. Aber insgesamt arbeiten Vollzeitbeschäftigte mit 40,8 Stunden in Österreich mehr als der Durschnitt im Euroraum (39,4 Stunden). Österreich gehört damit zu den Ländern mit der höchsten Vollzeit-Stundenzahl (Eurostat, EU 20).
Das ist umso verheerender, weil sich die Arbeit gleichzeitig extrem verdichtet hat. Die Arbeitnehmer:innen erledigen dank technologischer und organisatorischer Neuerungen in ihrer Arbeitszeit immer mehr in einem immer höheren Tempo. Der Druck steigt. Unter diesen Voraussetzungen kann sich laut Arbeitsklimaindex 2022 der AK Oberösterreich ein Drittel nicht vorstellen, in ihrem Beruf bis zur Pension durchzuhalten. 27 Prozent fühlen sich durch den ständigen Zeitdruck stark belastet. Das sind mehr als doppelte so viele wie bei derselben Befragung zehn Jahre zuvor.
Umgekehrt heißt das aber auch: Pro Stunde leisten die Arbeitnehmer:innen heute doppelt so viel wie noch Mitte der 1970er-Jahre. Unverständlich, warum die Arbeitszeit seitdem trotzdem gleichgeblieben ist.
Die Menschen arbeiten also viel intensiver und brauchen damit auch mehr Zeit für Erholung, um dauerhaft leistungsfähig zu bleiben. Die Forschungs- und Beratungsstelle FORBA hat Ende 2022 für die AK 4.700 Personen online befragt, wie sie ihre Arbeitszeit beurteilen und welche Veränderungen sie sich wünschen.
Eine überwältigende Mehrheit von 82% wünscht sich kürzere Arbeitszeiten. Dieser Wunsch zieht sich quer durch alle Branchen und ist bei Frauen etwas häufiger als bei Männern.
74% der Befragten würden eine Vollzeit von 25-30 Stunden als ideal empfinden.
6 von 10 Personen würden für eine gesunde Vollzeit mit 25-35 Stunden sogar Einbußen beim Einkommen in Kauf nehmen.
Gerade wird oft behauptet, die Arbeitszeit könne nicht verkürzt werden, da es ohnehin einen Mangel an Arbeitskräften gäbe. Tatsächlich zeigt aber eine aktuelle WIFO-Studie, dass das Arbeitskräfteangebot in Österreich wächst. Für den Zeitraum 2018 bis 2040 wird ein Zuwachs um insgesamt 176.000 Personen prognostiziert. Bei diesem Szenario sind die bereits beschlossenen Maßnahmen wie die Angleichung des Pensionsantrittsalters berücksichtigt. Zudem gibt es ein großes Potenzial bei den Arbeitssuchenden und Teilzeitbeschäftigten, die ihre Arbeitszeit ausweiten möchten. Eine Gruppe von über 70.000 Personen haben ihre Arbeitssuche bereits entmutigt aufgegeben, würden aber gerne arbeiten (SORA 2023).
Dass kürzere Arbeitszeiten bei vollem Lohnausgleich auch betriebswirtschaftlich funktionieren, zeigen bereits heute einige innovative Unternehmen in Österreich, etwa das Parkhotel Brunauer oder die Marketing-Firma eMagnetix. Die Arbeitnehmer:innen dort haben, anders als oft befürchtet, durch die 30-Stunden-Woche nicht mehr Überstunden oder größeren Stress. Sie arbeiten vielmehr kürzer, aber effizienter, und haben nach der Arbeit noch mehr Kraft für Familie, Freunde, Hobbys und Sport. Diese hohe Zufriedenheit bei eMagnetix hat die Produktivität und den Umsatz steigen lassen, berichtet deren Geschäftsführer. Es gibt nun kaum mehr Personalfluktuation, gute neue Mitarbeiter:innen finden sich viel leichter.
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