Beschäftigte im Gastgewerbe
Pünktlich zu Saisonbeginn häufen sich Medienberichte von Arbeitgebern aus der Gastgewerbe-Branche, die lautstark darüber klagen, kein Personal zu finden. Das hat auch handfeste Gründe: Das Gastgewerbe findet sich seit Jahren auf Platz 1 bei den persönlichen Beratungen in der AK Wien. Das zeigt deutlich, dass hier einiges im Argen liegt.
Aber was ist die richtige Antwort auf die steigende Nachfrage nach Arbeitskräften? Die Rot-Weiß-Rot-Karte, die von der Regierung als Allheilmittel gegen den Personalmangel angepriesen wird, ist aus Sicht der AK keine Lösung. Auch die überregionale Vermittlung von Ostösterreich nach Westösterreich ist nicht dazu angetan, die Arbeitsbedingungen in der Branche zu verbessern und die Arbeitsplätze damit attraktiver zu gestalten.
Was bringt Beschäftigte des Gastgewerbes in die Arbeitsrechtsberatung?
Das Gastgewerbe hat eine traurige Spitzenposition in der Rechtsberatung der AK Wien: 2021 betrafen 10 Prozent aller persönlichen Beratungen diese Branche. Zum Vergleich: Von allen Wiener AK-Mitgliedern sind lediglich 4,3 Prozent im Gastgewerbe tätig.
Die Arbeitnehmer:innen, die den Weg in die Arbeitsrechtsberatung der AK Wien suchen, berichten immer wieder von extrem schlechten Arbeitsbedingungen, dass Löhne nicht rechtzeitig, nicht in der richtigen Höhe oder gleich gar nicht ausbezahlt werden, dass Überstunden unbezahlt geblieben sind, Ruhezeiten nicht eingehalten oder Lohnabrechnungen vorenthalten wurden. Im ersten Halbjahr 2022 gab es bereits 1.280 persönliche Beratungen zum Thema Gastgewerbe in der AK Wien.
Deshalb hat die AK in den Monaten März bis Mai 2022 die Arbeitsbedingungen in der Branche genauer unter die Lupe genommen. Im Speziellen wurde erhoben, mit welchen Anliegen sich Arbeitnehmer:innen aus der Gastronomie an die AK Wien wenden und welche Missstände in der Branche vorliegen. Die Erhebung ist zwar nicht repräsentativ, gibt aber wichtige Einblicke in die Arbeits- und Lebensrealität der Beschäftigten.
Wichtige Erkenntnisse
- 190 Beratungsfälle aus der Gastronomie wurden im Untersuchungszeitraum von drei Monaten (März bis Mai 2022) von der AK Wien Rechtsberatung ausgewertet. Davon waren 40 Prozent Frauen und 60 Prozent Männer. Rund 60 Prozent waren in Vollzeit beschäftigt, der Rest in Teilzeit bzw. geringfügig.
- Offene Löhne, unbezahlte Überstunden, Schwarzzahlung: Ein häufiges Anliegen war, dass Löhne nicht rechtzeitig, nicht in der richtigen Höhe oder gleich gar nicht ausbezahlt wurden. In manchen Fällen haben Arbeitnehmer:innen kein Urlaubsgeld und Weihnachtsgeld erhalten. Bei mehr als einem Drittel wurden keine Überstunden bezahlt.12 von 100 haben für Urlaub und Krankenstand gar kein Entgelt bekommen. Jede:r Vierte hat Bar- bzw. Schwarzzahlungen erhalten.
- Kündigungsfristen nicht eingehalten: Die Kündigungsfristen wurden falsch berechnet, sind zu kurz oder wurden gar nicht eingehalten
- Unberechenbare Arbeitszeiten: Jede:r Vierte hatte regelmäßig geteilte Dienste bzw. wurde der Dienstplan vom Arbeitgeber kurzfristig einseitig geändert. Eine Planbarkeit ihrer Arbeitszeiten ist für die Arbeitnehmer:innen somit nicht gegeben. 34 Prozent mussten regelmäßig nach 18 Uhr arbeiten, weitere 24 Prozent regelmäßig nach 22 Uhr.
- Keine oder falsche Anmeldung zur Sozialversicherung: Ein Fünftel wurde für die tatsächlich geleistete Arbeitszeit zu gering angemeldet. In manchen Fällen wurden die Arbeitnehmer:innen überhaupt nicht zur Sozialversicherung angemeldet.
- Falsche oder gar keine Lohnabrechnungen: Nur ein Drittel hat eine korrekte Lohnabrechnung erhalten, zwei Drittel entweder gar keine oder eine falsche.
Fallbeispiele aus der Rechtsberatung
Arbeitsrechtliche Missstände in einem Restaurant
Die Arbeitnehmerin ist als Kellnerin in einem Restaurant beschäftigt. Sie leistet regelmäßig bis zu 70 Wochenstunden, bekommt immer nur am Montag frei. Die Arbeitnehmerin bekommt nur ein Fixum in bar auf die Hand bezahlt, Überstunden bekommt sie gar nicht; ebenso hatte sie keine bezahlten Urlaube und keine bezahlten Krankenstände. Die Unternehmenspraxis bei Urlauben: Zu Beginn des Urlaubes werden Beendigungen mit Generalbereinigungsklausel vereinbart, Urlaubsersatzleistungen werden nicht bezahlt. Nach dem Urlaub beginnen die Arbeitsverhältnisse wieder von Neuem. Aufgrund der genannten Umstände herrscht eine hohe Fluktuation. Die Arbeitnehmerin will nun das Arbeitsverhältnis endgültig beenden und mit Hilfe der AK Wien ihre Ansprüche durchsetzen.
Kellnerin musste regelmäßig umsonst arbeiten
Eine Arbeitnehmerin arbeitete als Kellnerin in Teilzeit in einer Café Konditorei. Für 25 Stunden erhielt sie 984 Euro brutto im Monat. Sie hatte im Lauf der Zeit viele Mehrstunden aufgebaut, die nicht ausbezahlt wurden. Außerdem musste sie auch an Feiertagen arbeiten, bekam aber weder Feiertagsarbeitsentgelt, noch Zeitausgleich. Sie musste ihre Schichten grundsätzlich alleine absolvieren, so dass keine Pausen möglich waren. Auf Anordnung ihrer Chefin musste sie immer 15 Minuten vor Schichtbeginn anfangen, etwa um Tische zu säubern – diese Zeiten wurden nicht aufgeschrieben und damit nicht abgerechnet. In der Abendschicht wurde sie immer bis 19 Uhr eingeteilt, aber es kam oft vor, dass Kund:innen noch länger sitzen blieben und sie länger arbeiten musste – auch das wurde nie abgegolten. Ein Jahr vor ihrer Pension wurde eine einvernehmliche Auflösung vereinbart und ihr versprochen, dass sie später wieder anfangen könne. Sie wurde aber nicht wieder angestellt. Erst nach Intervention durch die AK Wien wurden der Kellnerin sowohl ihr offener Urlaub als auch alle gearbeiteten Mehrstunden nachbezahlt.
Lohn wurde nicht ausbezahlt
Ein Arbeitnehmer arbeitete einige Monate als Küchenhilfe in einem Restaurant, das im November 2021 zusperrte. Das Problem: Der Mann wurde weder informiert noch abgemeldet und erhielt auch ab Dezember keinen Lohn mehr. Da er nicht abgemeldet war, konnte der Küchenhelfer auch nicht zum AMS oder einen anderen Job suchen. Seine zahlreichen Versuche, den Arbeitgeber zu erreichen blieben erfolglos, denn dieser war abgetaucht und zahlte weiterhin nicht. Mithilfe der AK Wien bekam der Arbeitnehmer alle Ansprüche in der Höhe von rund 4.000 Euro brutto ausbezahlt und wurde auch ordnungsgemäß abgemeldet.
Arbeitsmarktpolitische Aspekte
„Stammsaisonarbeitskräfte“- Regelung und Rot-Weiß-Rot-Karte sind problematisch
Die Branche klagt darüber, offene Stellen nicht besetzen zu können. Statt aber Arbeitsplätze attraktiver zu machen und Arbeitsbedingungen zu verbessern, sollen verstärkt Arbeitskräfte aus Drittstaaten angeworben werden. Basis dafür ist die Saisonnierregelung in der sogenannten Ausländerbeschäftigung und die Neuregelung der Rot-Weiß-Rot-Karte (RWR-Karte).
Das Modell der Saisonarbeit ist aus Sicht der AK ein grundlegend falsches Migrationsmodell.
Da davon ausgegangen wird, dass Saisonarbeitskräfte nur kurz in Österreich sind, werden keinerlei Integrationsmaßnahmen gesetzt. Außerdem ist die Gefahr von Ausbeutung sowie Lohn- und Sozialdumping enorm hoch: Die AK Beratungspraxis zeigt, dass gerade in Saison- und Gastronomiebetrieben, Drittstaatsangehörige mit gravierenden Problemen bei Arbeitsbedingungen und Bezahlung zu kämpfen haben. Aufgrund ihrer eigenen schlechten ökonomischen Lage, der Unkenntnis österreichischer Gesetze sowie der leider oft schlechten Sprachkenntnisse, werden Drittstaatsangehörige von einigen Arbeitgeber gezielt übervorteilt. Es kommt noch immer regelmäßig vor, dass Mitarbeiter:innen „schwarz“ mit Bargeld bezahlt werden.
In Salzburg kam es beispielsweise in den vergangenen Jahren – trotz Corona-Pandemie – zu einem deutlichen Beschäftigungszuwachs in der Beherbergung und Gastronomie. In den vergangenen zehn Jahren hat die Beschäftigung in der Sommersaison um fast 20 Prozent zugenommen. Statt auf Qualifizierung und Ausbildung zu setzen, wurden die zusätzlichen Arbeitsplätze ausschließlich mit ausländischen Arbeitskräften besetzt – während sich die Arbeitsbedingungen kaum verbessert haben. In den Spitzenzeiten kommen mittlerweile sechs von zehn Beschäftigten aus dem Ausland.
Die Neuregelung der RWR-Karte sieht vor, dass Saisonarbeitskräfte die Möglichkeit erhalten sollen, einen sicheren Aufenthaltsstaus zu bekommen: Nach zwei Jahren als registrierter Stammsaisonnier soll eine RWR-Karte als Stammmitarbeiter:in nur dann möglich sein, wenn ein unbefristetes Arbeitsverhältnis vorliegt. Das ist für Saisonarbeitskräfte, die nicht lange hier arbeiten, in den wenigsten Fällen realistisch.
Zusätzlich ist eine RWR-Karte an einen konkreten Arbeitsplatz bei einem bestimmten Arbeitgeber geknüpft. Eine RWR-Karte plus, mit der jede Erwerbstätigkeit möglich ist, können diese Stammmitarbeiter:innen aber nur dann erhalten, wenn sie in den letzten 24 Monaten mindestens 21 Monate durchgehend gearbeitet haben. Auch diese Hürde ist für die meisten Saisonarbeitskräfte zu hoch. Somit wird es nur sehr wenigen Saisonarbeitskräften ermöglicht, vollen Zugang zum Arbeitsmarkt zu erhalten. Aus Sicht der AK bieten diese Regelungen keinen ausreichenden Schutz vor Ausbeutung oder Lohn- und Sozialdumping.
Problemfelder der überregionalen Vermittlung
Die Politik wird nicht müde, die überregionale Vermittlung als Lösung für Personalprobleme im Tourismus zu propagieren. Im Arbeitslosenversicherungsgesetz gibt es dafür sehr restriktive Bestimmungen (Zumutbarkeitsbestimmungen) für Arbeitsuchende: Wenn keine Betreuungspflichten bestehen und ein Quartier zur Verfügung gestellt wird, kann von Arbeitsuchenden verlangt werden, in einem anderen Bundesland eine Beschäftigung anzunehmen. Nicht berücksichtigt wird dabei, ob die Unterkunft kostenlos ist und wie sie aussieht. Es spielt auch keine Rolle, ob es während des Dienstverhältnisses möglich ist, ein paar Tage an den Heimatort zurückzufahren.
Um zufriedene – und nicht nur gezwungenermaßen vermittelte – Mitarbeiter:innen zu bekommen, sind dies aber ganz wesentliche Aspekte. Hier ist aus Sicht der AK eine entsprechende Änderung der Zumutbarkeitsbestimmungen notwendig.
Was ist die richtige Antwort auf die steigende Nachfrage nach Arbeitskräften?
Hier sieht die AK in erster Linie die Betriebe in der Verantwortung. In der AK Beratungspraxis fällt das Gastgewerbe durch besonders viele Arbeitsrechtsverletzungen auf. Die Einhaltung arbeitsrechtlicher Bestimmungen, korrekte Entlohnung und das Ausbezahlen von Überstunden sind in der Branche leider noch immer keine Selbstverständlichkeit. Bessere Entlohnung, faire Arbeitsbedingungen, sowie
planbare Arbeitszeiten in Hotellerie und Gastgewerbe würden die Branche deutlich attraktiver machen. Es gibt viele Arbeitgeber, die ihre Beschäftigten korrekt bezahlen, alle Bestimmungen einhalten und für ein gutes Arbeitsklima sorgen – aber leider gibt es auch viele, bei denen das nicht der Fall ist. Hier hätten die Arbeitgeber durchaus Gestaltungsspielräume, die sie nicht ausreichend nutzen und damit zur Abwanderung in andere Branchen beitragen.
Arbeitsmarktpolitische Forderungen
- Überregionale Vermittlung soll nur stattfinden:
- Wenn eine regionale Vermittlung nicht möglich ist und das Arbeitszeitausmaß einen Einsatz außerhalb des Heimatbundeslandes rechtfertigt.
- Wenn eine angemessene, kostenfreie Unterkunft (Einzelzimmer, versperrbar, mit Bad und WC) zur Verfügung steht, in der die Arbeitnehmer:innen ungestört ihre Freizeit verbringen können und von der aus der Arbeitsplatz dennoch schnell (öffentlich) erreicht werden kann.
- Wenn zwei Mal pro Monat die Heimreise ermöglicht wird.
- Keine Vermittlung des AMS in Betriebe, die systematische Arbeitsrechtsverletzungen begehen oder gegen die Anzeigen beim Arbeitsinspektorat vorliegen.
- Mehr Qualitätssicherung in der Lehrausbildung
- Zusätzliches Personal für das AMS: Die überregionale Vermittlung kann im Rahmen von Projekten deutlich qualitätsvoller gestaltet werden. Hier gibt es bereits AMS-Kooperationen mit geprüften Betrieben, die gut funktionieren. Mit mehr Personal könnten diese Projekte ausgeweitet werden. Geprüfte Betriebe sollen sich einem Qualitätssiegel (nach Kriterien wie z.B. Unterkunft oder soziale Standards) unterziehen.
- Verhindern des „Zwischenparkens“ beim AMS, indem die Unternehmen zur Verantwortung gezogen werden.
- Fluktuationsmonitoring und entsprechende Vermittlungssperren bei hoher Fluktuation.
Arbeitsrechtliche Forderungen
- Im Sommer 2021 wurden das Lohn- und Sozialdumpingbekämpfungsgesetz aufgeweicht und die Strafen reduziert. Lohn- und Sozialdumping ist damit für Arbeitgeber leichter und billiger geworden. Die AK fordert, dass die gesetzlichen Regelungen wieder verschärft werden.
- Mehr Kontrollen: Um Lohn- und Sozialdumping, Sozialbetrug sowie Schwarzarbeit hintanzuhalten und den Arbeitnehmer:innenschutz sicherzustellen, muss mehr kontrolliert werden. Hierfür ist eine massive personelle Aufstockung der zuständigen Behörden (insbesondere bei Finanzpolizei und Arbeitsinspektorat) erforderlich.
- Bis 2019 musste bei der Anmeldung zur Sozialversicherung bzw. bei einer Änderung des Arbeitszeitausmaßes, nicht nur das Gehalt, sondern auch das vereinbarte wöchentliche Stundenausmaß gemeldet werden. Aus Sicht der AK sollte diese Regelung wieder verpflichtend sein.
- Sanktionen bei Nichtausstellung eines Dienstzettels: Der Dienstzettel ist eine wichtige Informationsquelle für Arbeitnehmer:innen. Im Gastgewerbe wird aber häufig kein Dienstzettel ausgestellt – nach jetziger Rechtslage hat das keine Folgen für den Arbeitgeber. In Zukunft soll es daher Sanktionen geben, wenn kein Dienstzettel ausgestellt wird.
- Der Mehrarbeitszuschlag im Arbeitszeitgesetz soll auf 50 Prozent erhöht werden – dieser Zuschlag soll auch dann gelten, wenn Mehrstunden in Form von Zeitausgleich abgegolten werden. Der dreimonatige Durchrechnungszeitraum, der weder praktikabel noch kontrollierbar ist, soll aus dem Gesetz gestrichen werden.
- 2018 erfolgten Änderungen im Arbeitszeitgesetz und Arbeitsruhegesetz: Im Gast-, Schank- und Beherbergungsgewerbe ist es dadurch viel leichter geworden, die tägliche Ruhezeit von 12 Stunden auf 8 Stunden zu verkürzen. Diese Regelung muss zurückgenommen und unter Einbindung der Arbeitnehmer:innenvertretung neu gestaltet werden.
- Kein Verfall von Ansprüchen während des laufenden Arbeitsverhältnisses: Die Möglichkeit Verfallsfristen zu vereinbaren, bewirkt, dass Überstunden oft nicht geltend gemacht werden können. Während des laufenden Arbeitsverhältnisses können Arbeitnehmer:innen ihre Überstunden praktisch nicht einklagen, da sie zu sehr unter Druck stehen.
- Die gesetzliche Möglichkeit einer Tourismuskasse, um etwa Saisonverlängerungsmodelle gezielt umzusetzen.