Paketboten schuften bis zum Umfallen
Mehr Pakete, mehr Stress: Zusteller:innen arbeiten unter hohem Zeitdruck, für wenig Geld und oft bis zur Erschöpfung. Die Kuriere haben häufig Migrations- oder Fluchthintergrund. Eine wirksame Umsetzung der EU-Richtlinie zur Plattformarbeit könnte ihre Arbeitsbedingungen verbessern. Dazu informieren die AK Expertinnen Bianca Schrittwieser und Adriana Mandl. Die Pressekonferenz zum Nachsehen finden Sie hier.
So geht es den Paketbot:innen wirklich
Ohne Paketbot:innen gäbe es zu Weihnachten kaum Geschenke. Alleine über die Post werden in Österreich mehr als 20 Millionen Weihnachtspakete verschickt. Für viele Zusteller:innen bedeutet das extremen Druck: keine Pausen, unbezahlte Überstunden, 14-Stunden-Tage.
Amir, ein ehemaliger Zusteller, erzählt, wie hart der Job wirklich ist. Viele Fahrer:innen arbeiten für Sub-Unternehmen – und wenn Löhne fehlen oder etwas schiefgeht, fühlt sich niemand zuständig. Wir als Arbeiterkammer fordern: Amazon & Co müssen endlich haften, wenn Löhne nicht gezahlt werden. Hier geht's zum Video.
Hinzukommt, dass Zusteller:innen häufig unter "algorithmischem Management" leiden. Darunter versteht man digital gesteuerte Routen und intransparente Bewertungen – oft ohne dass ein Mensch direkt eingreift. Diese Systeme sammeln Daten über das Arbeitsverhalten, die Leistung und die Kommunikation der Beschäftigten und treffen auf dieser Grundlage Entscheidungen, die normalerweise Menschen treffen würden.
Was sich mit der EU-Richtlinie ändert
Die EU-Plattformarbeitsrichtlinie schafft erstmals Regeln für wichtige Probleme in der Plattformarbeit: Sie dreht das System um: Wenn eine Plattform klar erkennbar Arbeit steuert und kontrolliert, wird künftig ein echtes Arbeitsverhältnis vermutet – und nicht mehr die Beschäftigten, sondern die Unternehmen müssen das Gegenteil beweisen. Auch für Zusteller:innen, die nur auf dem Papier selbstständig arbeiten, wäre das ein großer Schritt. Außerdem sorgt die Richtlinie für mehr Transparenz: Digitale Arbeitsplattformen müssen offenlegen, welche Daten sie sammeln und wie ihre Algorithmen entscheiden.
„Der bittere Alltag der Plattformarbeiter:innen“
Adriana Mandl: „Was für klassische Arbeitnehmer:innen undenkbar wäre, ist für viele Personen, die Plattformarbeit leisten, bitterer Alltag: Entscheidungen, die ihre Existenz betreffen, werden automatisiert getroffen – ohne Erklärung und ohne konkrete Ansprechperson. Bankkund:innen wären völlig zurecht empört, wenn ihr Konto plötzlich ohne Angabe von Gründen gesperrt wird und sie niemanden erreichen könnten, um das zu klären – Plattformbeschäftigte können aber sehr wohl von einem Tag auf den anderen ausgeloggt oder ausgeschlossen werden.“
„Nur die Spitze des Eisbergs“
Bianca Schrittwieser: „Die häufigsten Anliegen, mit denen sich Paketzusteller:innen an uns wenden, betreffen Lohnrückstände, unberechtigte Abzüge, unbezahlte Überstunden, nicht eingehaltene Ruhezeiten oder Verletzung von Höchstarbeitszeiten. Der Druck ist immens, die Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes groß. Viele Zusteller:innen sind zugewandert. Sprachbarrieren machen es ihnen oft schwer, ihre Rechte einzufordern. Die Fälle, die bei uns aufschlagen, sind daher nur die Spitze des Eisbergs.“
Beispiele aus der Praxis
Ein Fahrer startet um 4:45 Uhr, liefert 170 Pakete aus und soll abends weitere 150 übernehmen. Eine schwangere Zustellerin wird trotz Kündigungsschutz entlassen. Ein anderer Kollege erhält für die gesamte erste Arbeitswoche keinen Lohn, weil der Chef sie als „Einschulung“ bezeichnet. Wieder andere müssen mit defekten Fahrzeugen weiterfahren, bis es zu gefährlichen Situationen kommt. Mehrfach wurden Zusteller:innen deutlich unter dem kollektivvertraglichen Mindestlohn bezahlt – im Auftrag großer Paketdienste.
Diese Fälle sind keine Ausnahmen, sondern typisch für eine Branche, die viel zu wenig reguliert wird und deren Beschäftigte unter massivem Druck stehen. Wie schwierig die Arbeitsbedingungen in der Branche sind, bestätigen auch die steigenden persönlichen Beratungen in der AK: 2024 gab es in der AK Wien 632 persönliche Vorsprachen zum Kleintransportgewerbe. Heuer waren es mit Stichtag 30. November bereits 550.
Unsere Forderungen
- Tracking-Einschränkungen:
Automatisierte Systeme wie GPS-Tracking sollen nur dann eingesetzt werden, wenn es wirklich nötig ist. - Falsche Entscheidungen korrigieren:
Beschäftigte brauchen einfache und wirksame Wege, um falsche oder diskriminierende Entscheidungen anzufechten und richtigstellen zu lassen. - Kein Druck durch Automatisierung:
Automatisierte Überwachungs- und Entscheidungssysteme dürfen keinen unnötigen Druck erzeugen. - Entscheidungen durch Menschen:
Wichtige Entscheidungen wie Kontosperren, Auftragsentzug oder Kündigungen müssen immer von Menschen getroffen werden, damit ein fairer Schutz gewährleistet ist. - Freie und sichere Kommunikation:
Beschäftigte müssen sich frei untereinander austauschen können, aber auch mit ihrem Betriebsrat, der Arbeiterkammer oder Gewerkschaften – ohne Einflussnahme durch die Plattform.
- Personal und Schulungen:
Die zuständigen Behörden müssen mit ausreichend geschultem Personal ausgestattet werden. - Haftung des Erstauftraggebers für Löhne:
Nicht nur in der Baubranche ist es üblich, Aufträge an Subunternehmen und weiter an Sub-Subunternehmen zu vergeben. - Haftung des Auftraggebers für die Sozialversicherungsbeiträge:
Im Baubereich gibt es schon seit vielen Jahren eine Haftung des Auftraggebers für die Sozialversicherungsbeiträge. Die Erfahrungen sind gut. Es wäre daher sinnvoll – so wie in Deutschland (Paketboten-Schutz-Gesetz) – diese Haftung auch auf den Bereich der Paketzusteller:innen auszudehnen. - Wirtschaftliche Abhängigkeit und Schutzbedürftigkeit beim Arbeitnehmer:innenbegriff:
Wenn bei Scheinselbstständigkeit geprüft wird, ob ein Arbeitsverhältnis vorliegt, sollen wirtschaftliche Abhängigkeit und Schutzbedürftigkeit stärker berücksichtigt werden.
- Höhere Strafen bei Lohn- und Sozialdumping:
Lohnbetrug ist für Arbeitgeber zu billig geworden. - Mehr Kontrollen
Um Lohn- und Sozialdumping sowie illegale Beschäftigung hintanzuhalten, muss mehr kontrolliert werden. - „Duplum“:
Wenn offene Forderungen nicht fristgerecht bezahlt werden, soll künftig der doppelte Betrag – ein „Duplum“ – fällig werden. - Kein Verfall von Ansprüchen während des laufenden Arbeitsverhältnisses:
Kurze Verfallsfristen führen dazu, dass Überstunden kaum eingeklagt werden, da Arbeitnehmer:innen während des laufenden Arbeitsverhältnisses oft Angst haben, den Job zu verlieren.