TTIP auf dem Prüfstand
Stand der Dinge: Wird aus TTIP ein TTIP 2.0?
Bis November 2016 haben 15 Verhandlungsrunden stattgefunden, aber keines der 30 Kapitel konnte abgeschlossen werden. Seither gelten die Verhandlungen als ausgesetzt. Es gib unzählige Auffassungsunterschiede zwischen den USA und der EU, die größten sind: der Zugang zu den öffentlichen Beschaffungsmärkten, der umstrittene Investorenschutz (ISDS/ICS), Energie/Rohstoffe, das Nachhaltigkeitskapitel. NGOs und Gewerkschaften in den USA und der EU haben die Transparenz erhöht und zu einer kritischeren Sicht beigetragen.
Anfang 2018 verhängte die US-Regierung Zölle auf Stahl und Aluminium und drohte mit Zöllen auf Autos und KFZ-Erzeugnisse. Im Juli 2018 haben US-Präsident Trump und EU-Kommissionspräsidenten Juncker vereinbart, die Zollstreitigkeiten beizulegen. Sie einigten sich darauf, an einem vollständigen Abbau von Zöllen und nicht-tarifären Handelshemmnissen zu arbeiten. Die EU soll außerdem mehr Flüssiggas (LNG) und Sojabohnen importieren. Des Weiteren sollen Gespräche über Standards, bürokratische Hürden und die Reform der WTO geführt werden. Seitdem gab es Gespräche zwischen beiden Seiten. Bevor jedoch offizielle Verhandlungen über ein Handelsabkommen aufgenommen werden können, ist seitens der EU ein neues Verhandlungsmandat erforderlich. Am 18. Jänner 2019 hat die EU nun zwei Vorschläge für Verhandlungen über ein Zollabkommen im Bereich der Industriegüter und ein Abkommen über Konformitätsbewertung vorgelegt.
Da das ursprüngliche TTIP-Verhandlungsmandat von 2013 weiterhin besteht, steht die umfangreiche TTIP-Agenda (va Zölle, Investitionsschutz und Investitonsschiedsgerichte, Regulierungskooperaton, Dienstleistungen, Auftragswesen), die weit über die nun geplanten Zoll- und Konformitätsbewertungsabkommen hinausgeht, weiterhin im Raum.
Daher ist noch immer offen, ob Teile von TTIP (Investitionsschutz, Regulierungskooperation, landwirtschaftliche Erzeugnisse, …) nicht doch zu einem Verhandlungsabschluss kommen werden. Der österreichische Nationalrat hat sich im Juni 2017 gegen ein Weiterführen der TTIP-Verhandlungen mit dem derzeitigen Mandat ausgesprochen.
Darum geht es bei TTIP
Mit Freihandelsabkommen wie TTIP soll alles abgebaut werden, was den Handel zwischen den einzelnen Vertragspartner hemmt. Die europäischen Wirtschaftsverbände, WirtschaftsministerInnen der EU und die EU-Kommission argumentieren mit TTIP als Wachstumsmotor, der unzählige Arbeitsplätze schafft. Doch wie viel bringen die Abkommen wirklich und für wen? Wie schaut das zum Beispiel bei TTIP aus, dem geplanten Handelsabkommen zwischen der Europäischen Union und den USA?
Das soll TTIP bringen
Laut der Folgenabschätzung der EU-Kommission, die auf einer Studie des Londoner Forschungsinstituts CEPR basiert, soll TTIP im optimistischen Szenario zu einem Anstieg der Wirtschaftsleistung in der EU von rund 0,5% führen – allerdings insgesamt nach Ablauf von zehn Jahren. Durchschnittlich könnte TTIP daher einen jährlichen Beitrag von mageren 0,05% zum BIP leisten. Im realistischeren Szenario bliebe lediglich ein einmaliger BIP-Anstieg von rund 0,3% innerhalb von zehn Jahren übrig. Ein „Konjunktur-Kick“ sieht anders aus.
Quellen
Wir empfehlen folgende kritische Untersuchungen zu TTIP:
- ÖFSE (2014). ASSESS_TTIP: Assessing the Claimed Benefits of the Transatlantic Trade and Investment Partnership. Studie. Policy Note.
- Capaldo (2014). The TTIP – European Desintegretion, Unemployment and Instability. Working paper No 14-03 des Global Development and Environmental Institute.
- Stoll/Holterhus/Gött (2016). Die geplante Regulierungszusammenarbeit zwischen der Europäischen Union und Kanada sowie den USA nach den Entwürfen von CETA und TTIP.
Diese ökonomischen Folgenabschätzungen von TTIP werden seitens der Europäischen Kommission und der Wirtschaft genannt:
Worauf basiert das angenommene Wachstum?
Rund 80 % der geschätzten Wachstumsgewinne gehen auf den Abbau von nichttarifären Handelshemmnissen, der Liberalisierung von Dienstleistungen und des öffentlichen Beschaffungswesens zurück. „Nichttarifäre Handelshemmnisse“ sind zum Beispiel:
- bestimmte Quoten
- technische Bestimmungen
- Umwelt- und Arbeitsnormen
- Lebensmittelstandards
- Verfahrens- und Produktzulassungen
Wie sollen Handelsbarrieren abgebaut werden?
Der Abbau von Handelshemmnissen kann von der Angleichung (Harmonisierung) bis zur Eliminierung von Gesetzen, administrativer Verfahren und Standards reichen. Die Hoffnung vieler US-BürgerInnen, durch TTIP die höheren Qualitäts-, Sicherheits- und Sozialstandards der EU zu bekommen, scheint ein Wunschtraum zu bleiben. Viel eher werden sich mit TTIP zahlreiche EU-Standards verschlechtern.
Die verschiegenen Kosten von TTIP
Welche gesellschaftlichen Kosten entstehen, wenn Gesundheitsschutz, KonsumentInnen- und ArbeitnehmerInnenschutz verschlechtert werden? Diese Frage wird in den Studien zu den wirtschaftlichen Folgen von TTIP ausgeblendet.
Auch viele andere Kosten bleiben unberücksichtigt oder unterbewertet, etwa jene für die Anpassung technischer Standards durch die Behörden für KonsumentInnen und durch Unternehmen.
Nicht beleuchtet wird außerdem, wie sich TTIP auf den EU-Binnenhandel auswirkt. Der Handel zwischen den EU-Mitgliedstaaten wird ebenso zurückgehen wie der Handel zwischen der Europäischen Union und anderen Staaten. Dies würde schwächeren EU-Mitgliedstaaten und ganz besonders Entwicklungsländer hart treffen.
Klein- und Mittelbetriebe gegen TTIP
Mehr als 1.000 Kleinst-, Klein- und Mittelbetriebe (KMU) - Unternehmen, die einen Großteil der österreichischen Wertschöpfung ausmanchen - unterstützen die Initiative "KMU gegen TTIP". Denn auch sie sind überzeugt, dass sie unter den Folgen des Abkommens massiv leiden würden: 90% der österreichischen Wirtschaft beteiligen sich nicht am atlantischen Handel. Wird der europäische Handelsraum zugunsten des Handels mit den USA geschwächt, trifft sie das gewaltig.
- Welche Unternehmen sich beteiligen und warum sie nicht von TTIP profitieren, lesen Sie hier.
- Welche Folgen TTIP für Klein- und Mittelbetriebe haben würde, hat ATTAC in dieser ausführlichen Studie erforscht.
Jobverluste drohen
Wenig Erfreuliches für ArbeitnehmerInnen hat die Studie von CEPR zu vermelden: Sie prognostiziert Arbeitsplatzverschiebungen in der EU als Folge von TTIP. Errechnet wurde, dass dadurch zwischen 430.000 und 1,1 Millionen ArbeitnehmerInnen in der EU vorübergehend ihren Job verlieren. Manche Studien (Capaldo 2014) gehen sogar von einem Verlust von 600.000 Arbeitsplätzen aus.
Auch für Österreich werden Arbeitsplatzverluste in der Chemie-, Holz-, Papier- und Transportausstattungsbranche vorhergesagt.
Folgen für Österreich
Eine Überblicksarbeit über die wichtigsten Studien (Breuss 2014) hat ergeben, dass es in Österreich zu einer Verschlechterung der Handelsbilanz kommen soll, da die Importe aus den USA doppelt so schnell steigen würden als die österreichischen Exporte in die USA.
Die Handelsliberalisierung durch TTIP wird GewinnerInnen und VerliererInnen erzeugen. In manchen Sektoren soll es zwar zur Zunahme des Handels mit den USA kommen – zum Beispiel in den Bereichen Textil und Bekleidung, Chemie, Maschinen und Fahrzeuge. Dies passiert jedoch zu Lasten des Handels mit anderen EU-Ländern. Zu Exportrückgängen soll es in metallverarbeitenden und -erzeugenden Branchen, der Holzverarbeitung oder österreichischen Pharmabranche kommen.
Was wir fordern
Es muss eine seriöse Folgenabschätzung von TTIP geben, die sämtliche Kosten für ArbeitnehmerInnen, KonsumentInnen, die Umwelt, aber auch für Kleine und Mittlere Betriebe umfassend einbezieht. Es braucht einen grundlegenden Kurswechsel in der Handels- und Investitionspolitik der EU, der soziale, ökologische und demokratische Ziele in den Mittelpunkt stellt, anstatt diese zu untergraben.
Wie auch schon TTIP mit der Regulierungskooperation, hat auch die Trump-Juncker-Vereinbarung vom Juli 2018 mit dem Abbau nichttarifarischer Handelshemmnisse und Dialog über Standards und bürokratische Hürden eine Deregulierungsagenda zum Ziel. Selbst, wenn das geplante Handelsabkommen mit den USA nur – wie es die EU vorhat - Industriezölle und die Regulierungszusammenarbeit, umfassen soll, ist es durchaus gerechtfertigt, von TTIP neu-Verhandlungen zu sprechen.
Die AK kann einem Handelsabkommen nur zustimmen, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind:
Keine Senkung von Standards im Rahmen der Regulierungszusammenarbeit
Regulierungen zum Schutz von ArbeitnehmerInnen, KonsumentInnen, Datenschutz, Gesundheit, Lebensmittelsicherheit und Umwelt dürfen weder gesenkt noch deren zukünftige Anhebung eingeschränkt werden. Bestimmte Sektoren (Chemikalien, Pharmazeutika…) und Themen (GMOs, Lebensmittel, Hormone, Antibiotika, veterinäre Angelegenheiten) müssen ausdrücklich ausgenommen werden. Das EU-Vorsorgeprinzip gewährleistet bleiben.
Einklagbare und sanktionierbare Mindestarbeitsstandards
Die Einhaltung der ILO-Mindestarbeitsnormen ist eine Voraussetzung, um dem Wettbewerb der Arbeitsbedingungen nach unten zu vermeiden. Die USA müssen alle acht ILO-Kernarbeitsnormen ratifizieren, bevor Handelsverhandlungen beginnen. Die USA haben lediglich zwei Konvention ratifiziert (schlimmsten Formen der Kinderarbeit und jene über Zwangsarbeit). Verstöße gegen diese international vereinbarten Mindestarbeitsrechte müssen einklagbar und sanktionierbar sein. Die Einhaltung von Arbeits-, Klima- und Umweltschutzverpflichtungen müssen dem allgemeinen Streitbeilegungsmechanismus des Abkommens unterliegen.
Unmissverständliche Herausnahme von öffentlichen Dienstleistungen
Dienstleistungen der Daseinsvorsorge – wie etwa Bildung, Gesundheits- und soziale Dienstleistungen, Abwasser- und Müllentsorgung, Energie, Verkehr, kulturelle und audio-visuelle Dienstleistungen und Wasserversorgung – sowie diesbezügliche Konzessionen müssen unmissverständlich aus dem gesamten Abkommen ausgenommen werden.
Kein Investitionsschutz und Investor-Staat-Streitbeilegungsverfahren (ISDS/ICS)
Investitionsschutzbestimmungen und Klageprivilegien für Konzerne (ISDS/ICS) werden abgelehnt. Die jeweiligen Rechtsordnungen der Staaten bieten ausreichenden Schutz für InvestorInnen.
Umfassende Infos zu TTIP und CETA finden Sie in unserem Positionspapier.
Was Sie tun können
Bitte teilen Sie diesen Artikel und informieren Sie Ihr Umfeld.
Es gibt auch eine Reihe weiterer Initiativen, die Sie unterstützen können:
- In Österreich hat sich eine breite Plattform aus Gewerkschaften, NGOs und zivilgesellschaftlichen Initiativen zusammengeschlossen und organisiert als Anders Handeln Aktionen und Diskussionsveranstaltungen zu den Freihandelsabkommen.
Link-Tipps
ARD Monitor: Das Märchen vom Jobmotor TTIP
Schafft das transatlantische Abkommen wirklich Arbeitsplätze? Dieser Beitrag der TV-Sendung "Monitor" stellt diese Behauptung massiv in Frage.
ver.di: Wem nutzt der Freihandel?
Dr. Dierk Hirschel von der deutschen Gewerkschaft ver.di spricht in seinem Vortrag darüber, welche Wachstums- und Jobeffekte von TTIP, CETA, TiSA & Co tatsächlich zu erwarten sind.